Additive Fertigung in der Veterinärchirurgie - die Rettung eines geliebten Familienmitglieds
Unter internationaler Mitwirkung aus Deutschland, Kanada und Großbritannien konnte mit Einsatz von additiver Fertigung (AM), auch als 3D-Metalldruck bekannt, der Familienhund einer kanadischen Familie gerettet werden.
Renishaw half bei der Realisierung eines Implantats mit, um Hartgewebe zu ersetzen. Dieses Gewebe musste aufgrund eines Tumors entfernt werden. Das Implantat wurde von Voxelmed in Deutschland entwickelt und in Kanada operativ eingesetzt.Hintergrund
Mehr als 50 Prozent aller Hunde über 10 Jahren entwickeln mit großer Wahrscheinlichkeit einen Tumor. Tumore können oftmals anhand von Chemotherapie verkleinert und ohne ein übermäßig langes Trauma entfernt werden.
In manchen Fällen ist es aufgrund der Tumorlokalisation nur schwer möglich, eine Operation durchzuführen, ohne dabei die Lebensqualität des Hundes einzuschränken.
Bei chirurgischen Eingriffen an Menschen gibt es eine deutliche Tendenz zur Verwendung von individuellen Implantaten, um die OP-Ergebnisse zu verbessern und die Genesungszeit des Patienten zu verkürzen.
In der Vergangenheit haben Krankenhäuser nur für komplexe Fälle patientenspezifische Implantate (PSIs) eingesetzt - aber jetzt, dank der technologischen Fortschritte, werden sie zum Standard in der Praxis.
Eine der effektivsten Methoden, ein kundenspezifisches PSI herzustellen, ist die additive Fertigung (AM) zusammen mit spezifischen medizintechnischen CAD-Werkzeugen zur individuellen Gestaltung.
Herausforderung
Ein siebenjähriger Berner Sennenhund mit einem Tumor auf der linken Seite des Oberkiefers hatte, außer einer kompletten Entfernung des Tumors gefolgt von einer Rekonstruktion, nur wenige Alternativen. Ein kundenspezifisches 3D-gedrucktes Implantat aus Titan, das die Knochenstruktur des Hundes unterstützt, war aufgrund der Komplexität dieses Bereichs die beste Möglichkeit. Denn dort war eine erhebliche Gestaltungs- und Herstellungsfreiheit notwendig.
Bis dato wurden PSIs hauptsächlich bei Menschen eingesetzt, aber Renishaw, ein weltweit führendes Engineering und Gesundheitstechnologie-Unternehmen und Voxelmed, 3D Design-Experten, hoffen, dass dieser Fall die Vorteile der additiven Fertigung in der Veterinärchirurgie stärker in den Vordergrund rückt.
Ohne die additive Fertigung wäre es unmöglich gewesen, den Oberkiefer des Hundes nach der Tumorentfernung zu rekonstruieren, da es sich hier um eine geometrisch sehr komplexe Stelle handelt.
Alta Vista Animal Hospital (Kanada)
Lösung
Die Operation wurde von Julius Liptak, Veterinärmediziner im Alta Vista Animal Hospital in Ottawa, Kanada, durchgeführt. Dr. Liptak setzte ein additiv gefertigtes maxillofaziales Implantat aus Titan ein, das von Voxelmed in Deutschland entwickelt wurde.
Unter Verwendung von DICOM (Digital Imaging and Communications in Medicine - Digitale Bildgebung und -kommunikation in der Medizin), einem Standard zur Integration medizinischer Bildverarbeitungsgeräte, wurde ein digitales 3D Modell der betroffenen Stelle des Hundes generiert. Dieses Modell wurde verwendet, um unter Mitwirkung von Dr. Liptak, ein kundenspezifisches Implantat zu konstruieren.
Während der Entwicklung des Implantats wurde dieses von Dr. Liptak mehrmals überprüft und mit 3D Scans und Modellen des Hundeschädels verglichen. Hierdurch wurde der Fertigungs- und Platzierungsprozess viel einfacher gestaltet, da den Vorgaben des Chirurgen in Bezug auf die Art und Weise wie das Implantat passen sollte, berücksichtigt werden konnte.
Dr. Liptak konnte das Verfahren im Voraus planen und den Prozess so vereinfachen, um die Zeit in der sich der Hund unter Narkose befand zu minimieren.
Das Implantat wurde im Additive Design in Surgical Solutions (ADEISS) Centre in London, Ontario, Kanada gefertigt.
ADEISS entstand aus einer Partnerschaft zwischen der Western University, des London Medical Networks und Renishaw. Dieses Zentrum konzentriert sich auf Forschung, Entwicklung und Vermarktung von additiv gefertigten medizinischen Geräten und chirurgischen Instrumenten. Es unterstützt außerdem die Entwicklung additiv gefertigter Medizintechnologie, um Probleme im Gesundheitswesen weltweit anzusprechen.
"Während der Operation wurden die betroffenen Stellen sowie die Tumorränder entfernt", erklärt Jan Klasen, Veterinärmediziner, 3D Designer und CEO von Voxelmed. "Da sich der Tumor in der Haut und nicht im Backenknochen befand, umfasste die Resektion eine Revisions-Maxillektomie mit Extrahierung der 45 mm x 50 mm Masse plus 30 mm Randgewebe. Das Implantat wurde dann eingesetzt und mit chirurgischen Schrauben befestigt. Ein Hautlappen, der von einer definierten Arterie versorgt wird, wurde vorbereitet und zur Abdeckung des relevanten Bereichs sowie des Implantats verwendet. Dem Hund wurde so ein beeindruckendes Endergebnis ermöglicht, da die Nasenstruktur trotz des fehlenden Gewebes nicht verändert werden musste.
Design und Herstellung des Implantats waren innerhalb von zwei Wochen abgeschlossen. Hinzu kam, dass in diesem Fall der Hund an einem kontinuierlich wachsenden Tumor litt. Hätte die Fertigung des Implantats also länger gedauert, dann wäre es nicht mehr einsetzbar gewesen, da die betroffene Stelle gewachsen wäre.
Ergebnisse
"Ohne die additive Fertigung wäre es beinahe unmöglich gewesen, den Oberkiefer des Hundes nach der Tumorentfernung zu rekonstruieren, da es sich hier um eine geometrisch sehr komplexe Stelle handelt", so Klasen. "Das Implantat musste eine ähnliche Form und Funktion wie die bestehende Knochenstruktur des Hundes haben. Die additive Fertigung zur Beibehaltung der originalen Form und Funktion des Mund- und Nasenraums hat gewährleistet, dass der Hund eine hohe Lebensqualität hat, genauso wie ein natürlich geformter Schädel und Oberkiefer dazu beitragen, dass der Hund ohne Probleme atmen und essen kann.
"Soweit ich weiß, ist das das erste Implantat dieser Art. Vor diesem Fall wussten die meisten Veterinärmediziner nicht einmal, dass diese Technologie zur Verfügung steht. Ähnliche Rekonstruktionen sind jetzt auch in Deutschland in Planung; die möglichen Vorteile für die Tiere werden dank kontinuierlicher Forschung ständig erfasst."
Der siebenjährige Berner Sennenhund konnte das Krankenhaus einen Tag nach der OP schon wieder verlassen. Obwohl er schmerzstillende Medikamente und Antibiotika einnahm, konnte er normal durch die Nase atmen und erfreut sich inzwischen einer vollständigen Genesung. Ohne die Fortschritte der additiven Fertigung hätte der Hund keine so glückliche und lange Zukunft vor sich.